In meinem Urlaub griff ich zu einigen Biografien. So las ich über Zinzendorf (empfehlenswert ist die Biografie von Erich Beyreuther), dass er, wie es sich damals für Adlige gehörte, mit 19 Jahren eine Bildungsreise durch Europa unternahm, auf der er verschiedene Städte und Hochburgen der Bildung, der Kultur und der Politik besuchte, um seinen Horizont zu weiten und sich vielseitige Kenntnise in den unterschiedlichsten Wissenschaften zu verschaffen: Fremdsprachen (Französisch, Englisch), Tanzen (das lag ihm allerdings nicht so sehr) , Reiten und Fechten, Gespräche über Medizin, Diskussionsrunden über die aktuellen Streitfragen der Politik, Schönschreiben und noch viel mehr gehörte zu solch einer Reise. Ein straff organisierter Tagesplan war für Zinzendorf nötig, um all das zu verwirklichen. Diese Zeit nannte man "Kavaliersreise" oder auch "Grand Tour"; bei wiki findet sich folgenden Erklärung:
Die Grand Tour stellte ursprünglich den Abschluss der Erziehung dar und sollte der Bildung des Reisenden den "letzten Schliff" geben. Die Adeligen suchten insbesondere bedeutende europäische Kunststädte auf und besichtigten dort Baudenkmäler aus Antike, Mittelalter und Renaissance, reisten durch "pittoreske" Landschaften, sprachen aber auch an europäischen Fürstenhöfen vor. Dabei sollten sie Kultur und Sitten fremder Länder kennenlernen, neue Eindrücke sammeln und für das weitere Leben nützliche Kontakte knüpfen. Weiter diente die Tour der Vertiefung von Sprachkenntnisse sowie der Verfeinerung von Manieren ...
In der Lebensbeschreibung Zinzendorfs kommt es so deutlich heraus, dass er sehr bemüht darum war, sich in alle Richtungen zu bilden, jede Gelegenheit des Lernens zu nutzen und sich möglichst umfassend den Fragen und Problemen der Zeit zu widmen. So studierte er die Bekenntnisschriften verschiedener Theologen (selbst von solchen, die theologisch nicht auf seiner Welle surften), las Einleitungen in und Kommentare zur Bibel und erlernte Griechisch und Hebräisch. Diese Weltoffenheit und der Lernwille faszinieren mich. Manchmal wirft man den Christen Rückzug aus der Welt vor. Hier begegnen wir jedoch einem Mann, der als Christ ganz im Leben geerdet stand und deshalb von Vielen geachtet, geehrt und gefragt war - bis heute.
Nachdem ich nun mein Studium in Adelshofen beendet habe und jetzt mein Anerkennungsjahr mit dem Reisedienst ansteht, will ich das kommende Jahr (und ebenso die Zeit darüber hinaus) ganz bewusst als eine "Kavaliersreise", als eine Zeit des Lernens verstehen und immer in allen Dingen offen und wach sein. Ich werde die unterschiedlichsten Gemeinden, Menschen und Arbeiten kennenlernen: Wo gibt es was Neues? Wer sind die Menschen, die mir Gott in den Weg stellt, dass ich von ihnen profitiere? Welche Gemeinden geben mir Anstöße für die Arbeit später in Ostdeutschland? Welche Literatur ist lesenswert? Welche Entwicklungen sind in der in der Gesellschaft zu beachten? Was sind häufige Probleme in der Gemeinde? Was kann ich durch Herausforderungen und in Krisen gewinnen? Vielleicht lerne ich eine neue Sprache? Englisch wollte ich sowieso schon lange wieder auffrischen.
An anderer Stelle kam ich schon einmal darauf: Monatlich will ich mich fragen, was ich Neues gelernt habe. Wo es nur geht, will ich hören, fragen und weiter denken. Aus all diesen Impulsen und Anstößen lässt sich dann in der Folge die Vision für den eigenen Dienst (siehe Dienstverständnis) nähren. Ich wünsche mir, dass ich immer aus einem reichen Fundus an Ideen schöpfen kann. Und ich will ja nicht nur für mich lernen, sondern auch den Menschen, die mir über den Weg laufen, mitgeben, was Gott mir schenkte. Also alle Sinne weit! Für die Praxis bedeutet das: ein Tagebuch beginnen, in dem mir wichtige Gedanken notiert und festgehalten werden.
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