Montag, 3. Dezember 2007

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Aus dem Leben eines russisch - orthodoxen Christen (Teil 1):
(hier Teil 2)


Ich, nach der Gnade Gottes ein Christenmensch, meinen Werken nach ein großer Sünder, meiner Berufung nach ein heimatloser Pilger ... pilgere von Ort zu Ort. Folgendes ist meine Habe: auf dem Rücken trage ich einen Beutel mit trockenem Brot und auf der Brust die heilige Bibel; das ist alles. In der vierundzwanzigsten Woche nach Pfingsten kam ich in eine Kirche zur Liturgie, um dort zu beten; gelesen wurde aus der Epistel an die Thessalonicher im fünften Kapitel der siebzehnte Vers; der lautet:
"Betet ohne Unterlass."

Dieses Wort prägte sich mir besonders ein und ich begann, darüber nachzudenken, wie man wohl ohne Unterlass beten könne, wenn doch ein jeder Mensch auch andere Dinge verrichten muss, um sein Leben zu erhalten. Ich schlug in der Bibel nach und sah dort mit eigenen Augen dasselbe, was ich gehört hatte, und zwar, dass man ohne Unterlass beten, bei allem Gebet und Flehen allzeit im Geist beten und darin wachen muss in Ausdauer ... Ich dachte viel darüber nach, wusste aber nicht, wie das zu deuten sei.

"Was tu ich nun?", dachte ich bei mir. "Wo finde ich einen, der es mir deutet? Ich will in Kirchen gehen, die im Rufe stehen, gute Prediger zu haben; gewiss werde ich dort eine Unterweissung finden." Und ich tat so. Ich hörte da sehr viele gute Predigten über das Gebet. Doch waren es Belehrungen über das Gebet im Allgemeinen: Was das Gebet ist, wie man beten soll, welche Frucht das Gebet bringt; darüber aber, wie man im Gebet fortschreiten könne, redete niemand. Wohl war da einmal eine Predigt über das Gebet im Geist und über das unablässige Gebet; doch wurde nicht gesagt, wie man zu diesem Gebet gelangen könne ... So pilgerte ich lange von Ort zu Ort; las immer in der Bibel und forschte, ob es nicht irgendwo einen geistlichen Lehrer oder frommen, erfahrenen Führer gäbe.

Nach einiger Zeit sagte man mir, dass in einem Dorf seit langer Zeit schon ein Herr lebe und dort ein frommes Leben führe, um seine Seele zu retten: er habe in seinem Haus eine Kirche, ginge niemals aus und bete immer zu Gott und lese ohne Unterlass in Büchern, die das Seelenheil fördern. Da ich dies hörte, ging ich nicht, nein, ich lief in das mir genannte Dorf; ich kam hin und fand dort auch den Gutsbesitzer.

"Was ist es, was dich zu mir führt?", fragte er mich. "Ich habe gehört, dass Sie ein frommer und kluger Mann sind; darum bitte ich Sie auch, um Gottes willen, mir zu erklären, was es heißt, wenn der Apostel sagt: Betet ohne Unterlass, und auf welche Weise man auch ohne Unterlass beten kann. Ich wünsche sehr, dies zu erfahren, kann ich es doch ganz und gar nicht verstehen ."

(aus: "Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers", von einem unbekannten Verfasser)

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